Öl-Embargo der EU gegen Russland – in „greifbarer Nähe“?!

Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine hat die Europäische Union (EU) fünf Sanktionspakete gegen Russland beschlossen. Die Maßnahmen, die vor Kriegsbeginn undenkbar schienen, wie beispielsweise gegen russische Banken, wurden schnell und mit relativ großer Einigkeit getroffen.

Der andauernde Angriff Russlands auf die Ukraine hat Europa auch dazu gezwungen, seine Energiepolitik zu überdenken. Im Vordergrund steht die Abhängigkeit Europas von Russland, das etwa ein Drittel der Importe fossiler Brennstoffe liefert. Die EU verhandelt derzeit unter ihren Mitgliedern über einen Plan zum Verbot der Einfuhr von russischem Öl. Der genaue  Zeitpunkt eines Embargos und welche Arten von Transaktionen es abdecken soll, steht jedoch noch nicht fest.  Der Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sieht einen Durchbruch in „greifbarere Nähe“. Die EU trifft ihre Entscheidungen im jedoch Konsens, so dass alle Mitglieder zustimmen müssen, damit der Plan angenommen werden kann.

Wie würde ein Embargo gegen russisches Öl Russland schaden?

Russland exportiert große Mengen an Erdgas, Kohle, Öl und Brennstoff für Kernreaktoren, doch die meisten Einnahmen werden mit Öl erzielt. Mit unter anderem diesen Einnahmen wird der brutale Krieg Russlands gegen die Ukraine finanziert. Energieanalysten schätzen, dass Russland jeden Tag etwa 600 Millionen Euro an Einnahmen aus seinen Ölexporten in westeuropäische Länder erhält.

Da das russische Ölnetz auf Exporte nach Europa ausgerichtet ist, würde ein EU-Embargo eine ernsthafte Bedrohung für die Energieeinnahmen des Landes darstellen.

Was unternimmt die EU?

Am 4. Mai schlug die EU-Kommission vor, dass die EU nach einer Übergangsfrist von sechs Monaten keine Rohölimporte mehr aus Russland erlauben soll. Nach acht Monaten sollen dann überhaupt keine Ölprodukte mehr aus Russland in die EU geliefert werden. Da die EU ihre Entscheidungen im Konsens trifft, müssten alle 27 Mitgliedsstaaten diesem Importstopp einstimmig zustimmen.

Um die EU-weite Energiewende zu beschleunigen und damit auch schneller von fossiler Energie aus Russland unabhängig zu werden, hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zudem am 18. Mai 2022 den 300 Milliarden Euro schweren RePowerEU-Plan vorgestellt. Ziel der Strategie ist es, im Laufe des Jahrzehnts keine fossilen Brennstoffe mehr von Russland beziehen zu müssen und im Gegenzug den Anteil Erneuerbarer Energien in der EU bis 2030 von 40 Prozent auf 45 Prozent zu erhöhen.

Wo liegt das Problem?

Als drittgrößter Ölförderer und zweitgrößter Exporteur der Welt ist Russland als Öllieferant für viele Länder nicht einfach zu ersetzen. Denn Erdöl wird in vielen Bereichen verwendet. Dazu zählen unter anderem Verkehr, Heizung und Produktion.

Die EU-Mitgliedstaaten verhandeln intensiv über ein vorgeschlagenes Embargo. Ursprünglich sprach sich Deutschland gegen ein Verbot aus. Ende April ließ Deutschland jedoch seine Einwände fallen und stimmte zu, dass es bis Ende 2022 kein russisches Öl mehr kaufen wird, selbst wenn sich die EU nicht auf ein umfassenderes Embargo einigen kann.

Nach der deutschen Einigung blieben Ungarn, die Slowakei und Tschechien als Hauptverweigerer übrig.

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban kritisiert seit langem, was er als übermäßige Einmischung der EU in die Innenpolitik seines Landes ansieht. Orban hat die guten Beziehungen zum russischen Präsidenten Wladimir Putin als Gegengewicht zur EU genutzt und sich geweigert, die Ukraine bei der Verteidigung gegen die russische Aggression in irgendeiner Weise zu unterstützen.

Der Außenminister Litauens, Gabrielius Landsbergis, sagte: “Leider wird die gesamte Union von einem Mitgliedstaat als Geisel gehalten”. Er bezog sich dabei auf Ungarn, das das Ölembargo weiterhin blockiert, obwohl ihm eine Verlängerung des Ausstiegs aus dem russischen Erdöl bis Ende 2024 angeboten wurde. Ungarns Außenminister forderte zusätzlich bis zu 18 Milliarden Euro, die sein Land brauche, um die Infrastruktur umzurüsten.

Ungarn, die Slowakei und Tschechien haben Sorgen um Energie und Infrastruktur. Seit die   ehemalige Sowjetunion in den 1980er Jahren begann, große Mengen Rohöl in die EU-Mitgliedstaaten zu exportieren, hat das Öl eine enge und stark abhängige Beziehung zwischen Europa und Russland, insbesondere den Ländern des ehemaligen Ostblocks, geschaffen.

Öl ist kein allgemeines Produkt. Raffinerien sind in der Regel auf die Verarbeitung einer bestimmten Ölsorte ausgelegt. Russland exportiert hauptsächlich Ural-Öl. Raffinerien, die während des Kalten Krieges in den Ländern des Sowjetblocks gebaut wurden, waren für die Verwendung dieses Rohstoffs ausgelegt. Diese Länder, insbesondere Ungarn, haben die größten Bedenken gegen ein generelles Verbot russischen Öls geäußert.

Als der Sowjetblock auseinanderbrach, entwickelten die ehemaligen kommunistischen Blockländer, insbesondere die landumschlossene Tschechische Republik, die Slowakei und Ungarn, nur langsam eine Infrastruktur für den Import von Öl per Tanker, da die Pipeline-Lieferungen aus Russland wesentlich billiger waren. Außerdem wäre es schwierig gewesen, ihre Raffinerien auf die Verarbeitung verschiedener Ölsorten aus Quellen wie Saudi-Arabien oder den USA umzurüsten.

Die Industrie und der Verkehrssektor dieser Länder sind auf Benzin und Diesel angewiesen, die in lokalen Raffinerien aus russischem Öl hergestellt werden. Und ohne Häfen haben sie keine Möglichkeit, Öllieferungen aus anderen Ländern zu empfangen.

Angesichts dieser Herausforderungen ist es nicht verwunderlich, dass die Slowakei und Tschechien eine Verlängerung der Frist für den Ausstieg aus den russischen Ölimporten über die von der EU vorgeschlagene Frist Ende 2022 hinaus anstreben. Bulgarien bittet unter Berufung auf ähnliche Raffinerieprobleme ebenfalls um eine Verlängerung. Und Ungarn hat, wie bereits erwähnt, von der EU bis zu 18 Milliarden Euro als wirtschaftlichen Ausgleich für die Umrüstung seiner Ölinfrastruktur gefordert.

Was passiert, wenn das Embargo durchgesetzt wird – mit oder ohne Ungarn?

Die Abhängigkeit Europas von russischem Öl ist nach wie vor groß. Und selbst wenn sich die EU-Länder auf ein Verbot einigen, wird Russland andere willige Abnehmer für dieses Öl haben.

Ein sofortiger Importstopp von russischem Öl hätte vermutlich zur Folge, dass nahezu alles teurer wird. Denn Öl wird nicht nur zum Heizen und Autofahren, sondern auch in der Lebensmittel-Produktion sowie für die Herstellung von Textilien, Kunststoffen oder Kosmetika gebraucht. Zusätzlich würden höheren Transportkosten weiter viele Produkte verteuern.

Das jetzt von der Kommission geplante Embargo sieht eine Übergangsfrist vor. Diese hat zum Vorteil, dass die Märkte Zeit hätten, sich darauf einzustellen, sodass sich Öl nicht zwangsläufig stark verteuern müsste.

Die Debatte über ein russisches Ölembargo hat zudem gezeigt, dass die EU weiter versucht sich von Russland unabhängig zu machen. Die EU-Mitglieder haben konventionelle und erneuerbare Energiequellen identifiziert, die sie nutzen können, um fossile Brennstoffe aus Russland zu ersetzen.

Darüber hinaus hat die EU bewiesen, dass sie in Rekordzeit einen Grundkonsens über neue politische Maßnahmen erarbeiten und erreichen kann. Ihr RePowerEU-Konzept wurde in weniger als drei Monaten entwickelt, und in einer kürzlich in allen EU-Mitgliedstaaten durchgeführten Umfrage sprachen sich 85 % der Befragten für eine Verringerung der Abhängigkeit von russischen fossilen Brennstoffen aus. Es mag zwar teuer sein, die Länder des ehemaligen Sowjetblocks mit ins Boot zu holen, aber diese Investition würden sich womöglich langfristig in Form einer größeren Unabhängigkeit von russischen fossilen Brennstoffen und einer Abkehr von fossilen Brennstoffen im Ganzen, auszahlen.

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