Slowenien übernimmt EU-Ratspräsidentschaft

– Slowenien übernimmt unter der Regierung des slowenischen Ministerpräsidenten Janez Janša, die zuletzt immer wieder wegen ihrer Haltung zu Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit kritisiert wurde, die EU-Ratspräsidentschaft. Ist das Land den zahlreichen Aufgaben gewachsen? –

Slowenien hat am 1. Juli von Portugal die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Gemeinsam mit Deutschland, das den Vorsitz im Rat der Europäischen Union im zweiten Halbjahr 2020 inne hatte, komplettiert das Land somit die 18 Monate andauernde Triopräsidentschaft.

Da der Rat der Europäischen Union keinen ständigen Vorsitz hat, übernimmt jeder EU-Mitgliedsstaat den Ratsvorsitz turnusgemäß für sechs Monate. Die Hauptaufgabe der Präsidentschaft ist es, das Arbeitsprogramm des Rates zu organisieren und mit dem Parlament und der Europäischen Kommission zusammenzuarbeiten, um EU-Gesetze zu verabschieden. Um zu gewährleisten, dass auch längerfristige Projekte oder Reformen umgesetzt werden können, hat die EU 2007 die sogenannte Triopräsidentschaft eingeführt. Das bedeutet, dass diejenigen drei Staaten, die die Präsidentschaft nacheinander ausüben, für diesen Zeitraum gemeinsame Themen und Prioritäten festlegen und ihre Programme aufeinander abstimmen. In den Jahren 2007/2008 bildeten Deutschland, Portugal und Slowenien das erste Präsidentschaftstrio der EU-Geschichte.
Jetzt hat Slowenien die rotierende EU-Ratspräsidentschaft von Portugal übernommen, womit das mitteleuropäische Land mit zwei Millionen Einwohnern bereits zum zweiten Mal diese Position innehat.

Ratspräsidentschaft in schwierigen Zeiten

Das von Deutschland am 1. Juli 2020 begonnene Programm der deutsch-portugiesisch-slowenischen Triopräsidentschaft hat sich zum Ziel gesetzt, Europa stärker, gerechter und nachhaltiger zu machen.
Das ursprünglich vorgesehene Programm musste aufgrund der Corona-Krise jedoch völlig überarbeitet werden, sodass insbesondere die Bewältigung der Pandemie und der daraus resultierenden gesundheitlichen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen in den Fokus rückten. Neben der Bewältigung der Covid-19-Pandemie und der Verbesserung des europäischen Krisenmanagements sind weitere Schwerpunkte der Triopräsidentschaft unter anderem einen mehrjährigen Finanzrahmen von 2021 bis 2027 zu verhandeln, Fortschritte in der Mobilität und Digitalisierung zu erzielen, langfristige Lösungen im Bereich der Migrations- und Asylpolitik zu finden und ein klimaneutrales und grünes Europa zu schaffen.
Der Aufgabenkatalog für die slowenische Ratspräsidentschaft ist folglich lang. Unter dem Motto “Gemeinsam. Widerstandsfähig. Europa.” will Slowenien die Aufgaben in Angriff nehmen und konzentriert sich während seiner Ratspräsidentschaft auf vier Prioritäten:

  1. Resilienz, Erholung und strategische Autonomie der Europäischen Union
    Slowenien will sich besonders für den Aufbau der europäischen Gesundheitsunion einsetzen und die EU mit wirksameren Instrumenten zum Schutz der Gesundheit der Menschen in Europa ausstatten. Daneben steht die wirtschaftliche Erholung nach der Pandemie im Mittelpunkt. Dabei geht es um die Umsetzung des Aufbaufonds Next Generation EU, der auch den grünen und digitalen Wandel beschleunigen soll. Außerdem engagiert sich Slowenien für die Schaffung einer europäischen Behörde für Krisenvorsorge und -reaktion (HERA) in gesundheitlichen Notlagen.
  2. Konferenz zur Zukunft Europas
    Dem slowenischen Vorsitz fällt während der Ratspräsidentschaft außerdem die Federführung der “Konferenz zur Zukunft Europas” zu, dem das Land eine hohe Bedeutung beimisst. Im Rahmen der Konferenz wird europaweit diskutiert, wie die EU in Zukunft aussehen soll, um den Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger gerät zu werden. Der Dialog wird in Form von Plenarsitzungen und Bürgerforen realisiert und in enger Zusammenarbeit der drei
    Hauptorganen der EU geführt.
  3. Eine glaubwürdige und sichere Europäische Union, die Sicherheit und Stabilität in der Nachbarschaft gewährleisten kann
    Slowenien setzt sich für eine Stärkung der transatlantischen Beziehungen ein und erhofft sich von einer engen Zusammenarbeit mit den USA und der Nato die Position der EU in der internationalen Gemeinschaft festigen. Ein besonderer Fokus wird zudem auf die Westbalkanländern und die Fortsetzung des EU-Erweiterungsprozesses gelegt.
  4. Eine Union, die die europäische Lebensweise, Rechtsstaatlichkeit und gleiche Maßstäbe für alle fördert
    Die slowenische Ratspräsidentschaft will die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit als gemeinsamen europäischer Wert und Grundlage unserer Gesellschaften in den Vordergrund stellen. Auf der Grundlage des Jahresberichts der Europäischen Kommission wird Slowenien den jährlichen Dialog über die Rechtsstaatlichkeit in der EU und in den einzelnen Mitgliedstaaten führen. Zudem soll auch die Auseinandersetzung mit den negativen Auswirkungen der demographischen Entwicklung innerhalb der EU berücksichtigt werden.

Westbalkan im Fokus

Aufgrund der geographischen Nähe legt Slowenien ein besonderes Augenmerk auf die Westbalkan-Länder, deren europäische Integration und die nachhaltige Entwicklung und Zusammenarbeit mit der Region beim grünen und digitalen Wandel. Insbesondere die Fortsetzung des EU-Erweiterungsprozesses ist der slowenischen Ratspräsidentschaft ein Anliegen, da sich die EU in den vergangenen Jahren zu wenig um die Westbalkan-Region gekümmert habe. So gelten Kosovo sowie Bosnien und Herzegowina als instabil während Albanien, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien Kandidaten für einen EU-Beitritt sind.

Der rechtsnationale Premierminister Sloweniens, Janez Janša, hatte das Westbalkan-Thema bereits im vergangenen Dezember zu einem Schwerpunkt der slowenischen Ratspräsidentschaft erklärt. Zuletzt sorgte ein inoffizielles Papier für Schlagzeilen, das von Janša stammen soll: Drei Jahrzehnte nach dem Zerfall des Vielvölkerstaates Jugoslawien schlägt Janez Janša demnach in einem Non-Paper mit dem Titel „Westbalkan – ein Weg nach vorn“ vor, den Westbalkan neu zu ordnen. Die gesamte Nachkriegsordnung in Südosteuropa soll demzufolge aufgehoben und nach ethnischen Prinzipien neu strukturiert werden, was in Teilen Südosteuropas für große Verunsicherung sorgt.

Auftakt mit Eklat

Neben einem hohen Arbeitspensum und intensiver Politikgestaltung geht die EU- Ratspräsidentschaft mit einer Aufmerksamkeit für das ernannte Land und seinen Regierungschef einher.

Slowenien, das seit 2004 EU-Mitglied ist, befindet sich innenpolitisch in einer Krise, Ministerpräsidenten Janez Janša regiert derzeit mit einer Minderheitenregierung. Zudem steht Janšas Regierung unteranderem wegen seines Umgangs mit der Justiz und den Medien in der Kritik. So forderte beispielsweise die EU-Kommission vor Kurzem die Regierung in Slowenien dazu auf, Angriffe auf die Presse- und Medienfreiheit zu unterlassen.
Gleich zum Auftakt der EU-Ratspräsidentschaft Sloweniens ist es bei einem Treffen zwischen der EU-Kommission mit Ministerpräsident Janša zu einem Eklat gekommen.

Um den Start der Präsidentschaft zu feiern, kam das gesamte Kollegium der EU-Kommissare um Ursula von der Leyen, nach Ljubljana, um ihre Amtskollegen zu treffen und politische Prioritäten zu diskutieren. Doch Janša überraschte die Anwesenden mit einer Auswahl von Bildern, die angeblich slowenische Richter im Umgang mit Gesetzgebern der S&D-Fraktion, der sozialdemokratischen Fraktion des Europäischen Parlaments, zeigten. Der Premierminister soll die Richter als voreingenommen und parteiisch bezeichnet haben.
Frans Timmermans, der als Vizepräsident der EU-Kommission für den EU-Green Deal zuständig ist und einer der prominentesten Sozialisten in Brüssel ist, nahm Anstoß an dem Vorschlag und lehnte es folglich ab, an einem Gruppenfoto zwischen den Kommissaren und dem slowenischen Kabinett teilzunehmen. “Ich konnte einfach nicht mit Premierminister Janša auf demselben Podium stehen, nachdem er zwei Richter und zwei S&D-Europaabgeordnete in inakzeptabler Weise angegriffen und diffamiert hat”, sagte Timmermans in einer Erklärung.
Bei der gemeinsamen Pressekonferenz wurde der slowenischen Ministerpräsidenten auch von Kommissionschefin von der Leyen ermahnt und darauf hingewiesen, sich an rechtsstaatliche Standards wie die Pressefreiheit und die Unabhängigkeit der Justiz zu halten. Präsidentin von der Leyen kritisierte die slowenische Regierung zudem dafür, dass sie es versäumt hat, einen delegierten Staatsanwalt für die Europäische Staatsanwaltschaft (EPPO) zu nominieren, eine neue Behörde, die Betrug, Korruption und Geldwäsche im Zusammenhang mit dem EU-Haushalt bekämpfen soll. Zwar ist nicht jeder Mitgliedsstaat Teil der Einrichtung, aber alle, die sich dem System angeschlossen haben, sind gezwungen, delegierte Staatsanwälte vorzuschlagen, die die Ermittlungen vor Ort durchführen.
Diese Entscheidung muss nun gerichtlich geklärt werden und sorgt auf europäischer Ebene für Diskussionen.

Die Skepsis gegenüber der slowenischen Ratspräsidentschaft ist groß und die Voraussetzungen für eine erfolgreiche EU-Ratspräsidentschaft scheinen, vorsichtig formuliert, nicht ideal zu sein. Man darf folglich gespannt sein, wie die Regierung Janša sowohl das Motto “Gemeinsam. Widerstandsfähig. Europa.“ als auch die Programmpunkte „Stärkung der Rechtsstaatlichkeit als gemeinsamer europäischer Wert“ und „Achtung nationaler Verfassungen und Traditionen“ interpretieren und umsetzen wird.

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